In der ersten Hälfte des Jahres 2008 stand fest, daß im Zuge der Einführung des NKF (Doppik) das Infrastrukturvermögen, hier speziell die Straßenverkehrsanlagen mit diversen baulichen Besonderheiten in seinem Umfang und Wert bzw. der Restnutzungsdauer in der Eröffnungsbilanz nachzuweisen sind. Dieser Nachweis muss prüfungssicher erfolgen. Damit war der letzte Anstoß gegeben, um die Objekte der städtischen Straßenverkehrsanlagen in ein GIS aufzunehmen, denn das Tiefbau- und Verkehrsamt Erfurt (TVA) ist nicht für alle Straßen in der Stadt zuständig.
Nach weit über drei Jahren von den ersten Tests zur Digitalisierung von Straßenflächen bis heute, soll hier der aktuellen Stand zusammengefasst werden.
Das TVA der Stadt Erfurt ist für ca. 750km Straßennetz verantwortlich, dass sich in mehr als 6200 Straßenabschnitte gliedert und ungefähr 9 Mio m² Fläche belegt.
Im Sommer 2008 wurde mit ersten Tests begonnen. Die langfristigen Planungabläufe innerhalb einer Stadtverwaltung ließen nur den Einsatz einer sofort verfügbaren Freeware zu. Aus der vorhandenen Menge an Software ist OpenJUMP wegen der Datenschnittstellen, der Handlichkeit, dem Funktionsumfang und der universellen Einsetzbarkeit unter nahezu allen Betriebssystemen ausgewählt worden.
Die im Vermessungsamt (VA) der Stadt Erfurt vorhandene, zu der Zeit mit Sicad-Open vorgehaltene und gepflegte Stadtgrundkarte (SGK) wurde in ESRI-Shape-Sets exportiert. Aus bestimmten Linienattributen wurden automatisiert Flächen gebildet. Diese Flächen konnten im Laufe der Bearbeitung mit OpenJUMP in die jeweiligen Straßenabschnitte mit ihren Verkehrsflächen gegliedert werden. Die umfangreiche Nachbearbeitung war aus mehreren Gründen erforderlich. Die aus der SGK gebildeten Flächen entsprachen nicht immer dem realen Abbild der Straßen, so waren z.B. viele Hofzufahrten als Straße deklariert. Auch waren private Flächen von den öffentlichen Flächen zu trennen. Nur am äußeren Erscheinungsbild ist das nicht abzuleiten.
Auf Grund der begrenzten Rechenleistung der verfügbaren PCs sowie der erforderlichen weiteren Bearbeitung der SGK im VA wurden nacheinander insgesamt 31 Lose bearbeitet. Das eröffnete die Möglichkeit, an mehreren Arbeitsplätzen zeitgleich auch mehrere Lose zu bearbeiten. In Spitzenzeiten waren bis zu 5 Mitarbeiter damit beschäftigt. Die fertigen Lose wurden an das VA übergeben und als spezielle Layer in den Datenpool der SGK eingearbeitet. Mit der Fortführung der SGK im VA konnten somit auch die Straßenflächen in einem Arbeitsgang nachgearbeitet werden, um z.B. neuere Messergebnisse aus Baumaßnahmen zu berücksichtigen.
Die Digitalisierung ist im Wesentlichen abgeschlossen. Es ist noch ein beträchtlicher Teil in der Endkontrolle. Im Ergebnis ist u.a. ein Verkehrsflächenkataster entstanden. Etwa Mitte 2010 wurde begonnen, ein zentrales GIS innerhalb der Stadtverwaltung einzurichten. Auf der Basis von ESRI-Technologie, zunächst im VA beginnend. Das ist auch für den Einsatz von OpenJUMP von Vorteil. Es steht ein gut verwendbarer WMS-Dienst für den Kartenhintergrund zur Verfügung. Dieser lässt mehr erkennen, als die exportierten Linien und Texte der einzelnen Lose das ermöglichen.
Derzeit arbeiten in der Stadt Erfurt die zuständigen Mitarbeiter in verschiedenen Ämtern an der Umstellung der in Sicad und Grips abzulösenden Verfahren bzw. Anwendungen. Beide Softwarepakete haben in der Vergangenheit die Anforderungen an ein zentrales Geografisches Informationssystem (GIS) der Stadtverwaltung nicht zur Zufriedenheit aller Beteiligten erfüllen können und sind inzwischen technologisch überholt. Die Stadt Erfurt hat sich nach langem Ringen für die jeweils passenden Module der Firmen ESRI (ARCGIS) und SYNERGIS (GEO-Office, WEB-Office) und damit für eine moderne, zukunftsweisende, aber auch recht teure Software entschieden. Allein die Wartungskosten für diese Software insgesamt werden jährlich den Haushalt der Stadt mit einer erheblichen Summe belasten.
Ergänzend zur Software der Firmen ESRI und SYNERGIS kann vorteilhaft eine freie und für jede Stadt kostenlose Software für die Aufgaben eingesetzt werden, bei deren Bearbeitung die kommerzielle Software unrentabel erscheint. Damit geht natürlich eine gewisse Verdrängung der kommerziellen Software und Zweigleisigkeit einher, die jedoch aus Sicht des qualifizierten Anwenders nicht zwingend einen Nachteil darstellt.
Diese Zweigleisigkeit muss jedoch sorgfältig durchdacht sein, denn zu häufig haben vorschnelle Entscheidungen zu erheblichem Folgeaufwand geführt, weil z.B. die Freeware im Einzelfall gute Lösungen bietet, andererseits bei der nahtlosen Integration in Arbeitsabläufe jedoch umfangreich Programmiererleistungen erforderlich werden können.
Auch die Nachteile dieser freien Software sollen hier erläutert werden. Es gibt zur Zeit keine Druckausgabemöglichkeit, die wirklich mit kommerzieller Software konkurrieren kann. Pläne mit definiertem Maßstab sind schwer zu erzeugen, werden aber auch nicht so häufig gebraucht, wie z.B. Übersichtskarten, bei denen eine optimale Füllung des Papiers verlangt wird. Ein "Corporate Design" ist nur mit manuellem Aufwand in mehreren Schritten umzusetzen.
Die Vorzüge von OpenJUMP in Bezug auf Verfügbarkeit, Funktionalität, Benutzung und Weiterbildung der Mitarbeiter sind selbst erklärend. Die Entwicklung ist inzwischen weit fortgeschritten, die Möglichkeiten des Programms haben sich deutlich verbessert. Das Handling ist nahezu unschlagbar. Auch an die Möglichkeit der Einbindung und Auswertung von Sachdaten aus den in einer Verwaltung vorhandenen Datenbanken mit der auf einem PC vorhandenen Standard-Software (z.B. MS-Access) soll hier erwähnt werden.
Noch wenige Worte zum üblichen Arbeitsablauf im GIS aus den bisherigen Erkenntnissen. Es wird von einer überschaubaren Wochenmenge der zu erfassenden Daten ausgegangen. Größere Mengen sind in entsprechenden Losen zu digitalisieren und erfassen. Zunächst werden die zu erfassenden Objekte durch die Bearbeiter gesichtet und analysiert. Anschließend beginnt am Tag X eine Digitalisierung und Zuweisung mindestens eines Schlüssels pro Objekt, um später die Geometrie mit den eventuell vorhandenen Sachdaten zu verbinden. Weil mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht alle für die Erzeugung eines Objektes erforderlichen Linien in einer SGK vorhanden sein werden, ist an diesen Stellen eine näherungsweise "Freihandkonstruktion" notwendig. Nach der Digitalisierung muss ein mehrstufiger Kontrollprozess die Exaktheit der Daten sicherstellen, um z.B. die Topologie oder auch das erforderliche und richtige Ausfüllen der Sachdaten zu prüfen. Erst danach kann eine Freigabe der Daten erfolgen, die in der am Tag X begonnenen Periode erfasst wurden. Der Arbeitsprozess läuft somit periodisch und stoßweise ab, eine Kontinuität ist eher nicht gegeben. Selbst mit kommerzieller Software wie Arc-FM-UT wird in "Versionen" gearbeitet, die letztlich ebenfalls diesen periodischen Prozess abbilden.
Daraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass es für viele Einsatzfälle von GIS egal ist, ob die Ersterfassung „Online“ mit der kommerziellen Software oder „Offline“ mit OpenJUMP und nachfolgender Übertragung in den zentralen Datenbestand erfolgt. Es ist mit Augenmaß und Überlegung zu handeln – brauche ich die teuere kommerzielle Variante oder reicht die preiswerte Alternative?
Zusammenfassend bleibt auch in Betrachtung der noch folgenden Aufzählung festzuhalten, daß durch eine gut überlegte Auswahl der Programmvarianten für eine Stadt ein erhebliches Potential an Einsparungsmöglichkeiten vorliegt, ohne das damit ein nennenswerter Mehraufwand an Konvertierungen oder anderer manueller Arbeiten einher geht.
Vergleichbar ist das Vorhaben "zentrales GIS" mit einem großen Vorratsspeicher, der verschieden große Öffnungen und reichlich Platz für die zu lagernden Sachen bietet: WMS und WEB-Browser sind die kleinsten Öffnungen zum Hineinsehen, ARCView, ARCEditor und ARCInfo bilden die größten Türen, um Daten im Sinne das Wortes einzufahren. OpenJUMP und andere Freeware-GIS liegen irgendwo dazwischen. Mit welchen Werkzeugen die Daten bearbeitet werden können, hängt von den jeweiligen Aufgaben- und Zielstellungen sowie vom Willen der Entscheider ab.
Im Folgenden wird der aktuelle und darüber hinaus mögliche Einsatz von OpenJUMP in einer Stadtverwaltung mit stichwortartiger Beschreibung der aktuellen Problemlösungen kurz umrissen. Die Aufzählung ist sicherlich unvollständig und die Reihenfolge zufällig. Welche der Aufgaben nur mit kommerzieller Software zu bearbeiten ist, wird die Zeit zeigen. Verloren ist nichts, denn die Daten lassen sich sehr leicht in nahezu jedes Zielsystem übertragen. Gewonnen ist viel: Zeit, Geld, Training der Mitarbeiter , Motivation …..
Noch immer werden in vielen Stadtverwaltungen bunte Bildchen zu geografisch orientierten Objekten, Planungen oder vergleichbaren Sachverhalten mit COREL-Draw und anderen Programmen gemalt. Ohne Maßstab und ohne jeglichen Raumbezug oder Koordinaten! Aber mit viel künstlerischer Freiheit. Welch großer Fortschritt lässt sich da mit freier GIS-Software und freien Daten (OpenStreetMap) sprichwörtlich im Handumdrehen und mit geringsten Kosten erzielen!?!
Bernd Wehle
Stadtverwaltung Erfurt
Tiefbau- und Verkehrsamt
Abteilung Straßen- und Brückenverwaltung
Steinplatz 1
99085 Erfurt
bernd.wehle erfurt.de